Schreckensbilder - Die Wahrnehmung von Katastrophen zwischen alteuropäischem Fatalismus und modernem Fortschrittsglauben 2005/2006

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Katastrophen (SD 640)

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Die Erinnerung an das Erdbeben von Lissabon vor über 250 Jahren trifft zusammen mit den Nachrichten über entfesselte Naturgewalten, die uns aufschrecken. Das legt es nahe, zu fragen, wie Menschen früher mit solchen und anderen Katastrophen umgegangen sind: Wie haben sie im christlichen Weltbild des Mittelalters und der frühen Neuzeit auf sie reagiert, was hat der rationale Blick der Moderne daran geändert, und welche Schlüsse lassen sich daraus für unsere Einstellung heute ziehen? Schwere Naturkatastrophen sind in jüngster Zeit in eine hoch technisierte Welt eingebrochen, in der die Verfügung über die Natur selbstverständlich erscheint. Denn auf ihr gründet zu einem wesentlichen Teil die westliche Zivilisation, die heute den Globus bestimmt. Das Vertrauen in die Machbarkeit der Lebensumstände, in eine immer bessere Beherrschung aller möglichen Gefahren hat sich mit der Moderne seit dem 18. Jahrhundert entfaltet. Doch schon im Keim wurde es durch das Erdbeben von Lissabon erschüttert, das im November 1755 Europa erschreckt hat. Die meisten Menschen sahen dieses Ereignis damals allerdings noch als eine Heimsuchung Gottes; so hatte man seit dem Mittelalter Katastrophen aller Art, nicht nur die Gewalt der Natur, als unabwendbar hingenommen: Seuchen, Hungersnöte, Kriege, große Unglücksfälle. Aufgeklärte Köpfe dagegen suchten das Erdbeben zu erklären und planten eine neue Stadt, eine bessere Zukunft. In solch rationalem Geist wurden seither alte Bedrängnisse zunehmend bewältigt. Seuchen erlagen der modernen Medizin und der Hunger einer enormen Steigerung der Agrarerträge, die Technik schützte vor Unglücken, und der Krieg wurde in seinen Auswirkungen, vor allem für die Bevölkerung, gezähmt. Diese Erfolge nährten im 19. Jahrhundert einen starken Fortschrittsglauben, ein optimistisches Zukunftsvertrauen. Im 20. Jahrhundert aber wurde die Kehrseite verstörend sichtbar. Die Effizienz der Technik machte auch Kriege vernichtend und Unglücke folgenreich wie noch nie, neue Epidemien brachen aus, und Naturkatastrophen ließen sich nicht verhindern, ja, trafen zivilisationsgewöhnte Gesellschaften besonders schwer. Offenbar gibt es keine Welt ohne Schreckensbilder - aber es gibt die besseren Möglichkeiten der Moderne, aktiv vorzubeugen und Schäden zu beseitigen.